Podiumsdiskussion Foto_©Maria Lobis

 

Sensibilisierungskampagne MutterNacht 2022 beleuchtet Einsamkeit rund um die Geburt.

Es gibt viele Vorurteile und gesellschaftliche Zuschreibungen rund um Geburt und Elternschaft. Zum achten Mal hat das Rittner Bildungszentrum „Haus der Familie“ heute am Tag vor dem Muttertag in Zusammenarbeit mit 25 Südtiroler Organisationen die Aktion „MutterNacht“ organisiert. Dabei werden seit acht Jahren herausfordernde Themen rund um das Elternsein beleuchtet. Heuer ging es unter dem Motto „Mutterseelenallein“ um Einsamkeit und Herausforderungen rund um die Geburt und das erste Lebensjahr des Kindes. Am Bozner Rathausplatz fand eine Podiumskonferenz mit Betroffenen und Fachleuten statt, stellten sich Organisationen der Öffentlichkeit vor, die werdende und gewordene Eltern unterstützen. Sarah Merler und Sabrina Fraternali brachten das Thema tanzend auf die Bühne. Die Musikgruppe „Saxophone Craze“ umrahmte die Veranstaltung musikalisch. Thomas Vonmetz las aus dem Kampagnenbuch Geschichten von Betroffenen vor. Um die Kampagne in die Bezirke hinauszutragen, tourte die „MutterNacht“ in den vergangenen Tagen durch Südtirol und machte in Bruneck, Schlanders und Sterzing halt. Sowohl in den Bezirken als auch beim Aktionstag in Bozen luden drei weiße Stühle mit einem großen Daumenkino zum Hinsitzen und Durchblättern ein. Darin wird das Bild der Barbie-Puppe aufgegriffen, die in ihrer bekannten Form für ein nicht zu unterstützendes Frauenbild steht. Sieht die Puppe auf den Blättern in der Anfangsszene noch „perfekt“ aus, wirkt sie durch die Geburt zunehmend zerfleddert und in den Folgeszenen immer überforderter. Mehr als 150 Menschen wohnten dem Aktionstag am Bozner Rathausplatz heute bei. Ebenso viele Menschen waren in den vergangenen Tagen insgesamt bei den Aktionen in den Bezirken anwesend.

 

Oft ist die Rede vom magischen Moment nach der Geburt, vom Zauber des Augenblicks, in dem alle Schmerzen vergessen sind. Doch die Realität sieht meist anders aus: Der Dammschnitt muss genäht werden, das Baby schreit, das Stillen funktioniert nicht, ein Elternteil muss das Krankenhaus wegen mangelnder Familienzimmer verlassen. Frauen mit Migrationsgeschichte treffen auf ein fremdes kulturelles Umfeld, Frauen mit besonderen Bedürfnissen auf Abwehr. Menschen, die Diskriminierung erfahren, verfügen nachgewiesenermaßen über eine schlechtere gesundheitliche Konstitution als Nicht-Betroffene.

Es ist nicht normal, dass Gebärende von Partner oder Partnerin erst ab dem Kreissaal begleitet werden dürfen und das Krankenhaus nach dem Entbinden gleich wieder verlassen müssen. Es ist nicht normal, dass schwangere Frauen ihr Wohl in die Hand eines Arztes/einer Ärztin legen und dabei dem eigenen Körpergefühl nicht mehr vertrauen. Von werdenden Eltern wird verlangt, in der Schwangerschaft eine Reihe von Fachbüchern gelesen zu haben, um gute Eltern zu werden. Mütter und Väter müssen mit ihren schreienden Babys nicht monatelang alleine zurechtkommen. Es gibt Hilfe. Das betonte beim heutigen Aktionstag der Direktor des Hauses der Familie Elmar Vigl.

Um Zuschreibungen und „normalisierte Tabus“ rund um die Geburt und das erste Lebensjahr des Kindes sichtbar zu machen und Hilfestellungen aufzuzeigen, wurde die heurige MutterNacht unter das Motto „Mutterseelenallein“ gestellt, sagte Projektleiterin Astrid Di Bella. Die Hebamme und interkulturelle Mediatorin Fatima Ezzahra Ziyani erklärte bei der Podiumsdiskussion, dass Frauen den Wunsch haben, in ihrer Muttersprache zu gebären und dass kulturelle Unterschiede in außerordentlichen Situationen wie der Geburt besonders sichtbar werden. In anderen Kulturen sei es üblich, dass gewordene Mütter bis zu 40 Tage rund um die Uhr von Freundinnen, Schwestern und Nachbarinnen gemeinsam mit Hebammen begleitet werden. Verena Figl ist eine betroffene Mutter, die sich bei der Geburt ihres Sohnes vor zwei Jahren nicht aufgehoben gefühlt hat, die sich von Hebammen und Ärzt:innen fremdbestimmt wahrnahm, ein Familienzimmer schmerzlich vermisste und sich ihrer Selbstwirksamkeit beraubt fühlte. „Redet darüber, wenn es euch nicht gut geht“, rief Verena Figl die Anwesenden auf. Es brauche auch seitens der Fachleute empathische Unterstützung und ein Ernstnehmen der Gebärenden und ihrer Gefühle. Michele Larcher ist der Vorsitzende der Südtiroler Adoptiv- und Pflegeeltern. Er betonte, dass sich Paare, die jahrelang auf ein Adoptivkind warten oder innerhalb von wenigen Tagen plötzlich Eltern werden ebenfalls einsam, überfordert fühlen und dringend Unterstützung brauchen. Allerdings habe jede Familie unterschiedliche Bedürfnisse. Camilla Dell’Eva von den „Frühen Hilfen“ betonte, dass es wichtig sei, rund um die Geburt auf Familien bereits proaktiv und nicht erst reaktiv zuzugehen. Außerdem sei es notwendig, dass fachliche Mitarbeiter:innen in den verschiedenen Diensten sich unterstützen. Barbara Walcher von der EEH (Emotionelle Erste Hilfe) erzählte, dass ihr viele Paare begegnen, die aufgrund der großen Idealisierung rund um die Geburt zu hohe Erwartungen an sich selbst stellen. Besonders schlimm sei die persönliche Einsamkeit trotz des Paarseins. Familien sind sehr unterschiedlich und entsprechend unterschiedlich sind ihre Bedürfnisse. „Wir haben es nicht in die Wiege gelegt bekommen, Emotionen wie Traurigkeit oder Angst zu benennen.“ Häufig scheitere es an den zwischenmenschlichen Beziehungen.

Ebenfalls auf dem Rathausplatz standen drei weiße Stühle mit jeweils einem großen Daumenkino. Darin wird mittels einer zunehmend zerzausten Barbie-Puppe die Idealisierung rund um Geburt und Elternschaft aufzubrechen versucht. Die Barbie-Figur wird regelmäßig kritisiert, da sie ein traditionelles Frauenbild zementiert. Die Künstlerin Astrid Gärber und die Fotografin Tania Marcadella haben die Reizfigur bewusst gewählt und beleuchten im Daumenkino in mehreren Szenen idealisierte Situationen rund um Geburt, Frauenrollen und Situationen im ersten Lebensjahr des Kindes kritisch.

Vorbereitend auf die MutterNacht waren Eltern eingeladen, ihre Geschichten zu erzählen. Diese Erzählungen sind in einem Buch gesammelt, das bei den Aktionen zur MutterNacht in Bruneck, Schlanders, Sterzing und beim heutigen Aktionstag (Samstag, 7. Mai) in Bozen vorgestellt wurde. Radio- und Fernsehsprecher Thomas Vonmetz trug einige Geschichten aus dem Kampagnen-Buch vor, das Lucilla Patrizi illustriert hat. Die Musikgruppe „Saxophone Craze“ umrahmte die Veranstaltung auf dem Rathausplatz musikalisch. Die Tänzerinnen Sarah Merler und Sabrina Fraternali brachten das Thema „Mutterseelenallein“ mit ihrer gelungenen Tanzeinlage „Glaskugel“ auf die Bühne. Einige der dem Netzwerk angehörigen Organisationen haben sich heuten den Anwesenden vorgestellt und ihre Unterstützung für Mütter, Eltern und Familien präsentiert: Dazu gehören Katholischer Familienverband, La Strada – der Weg, Elki und Family Support, EEH (Emotionelle Erste Hilfe), der Verband der Hebammen, das Forum Prävention, die Sozialgenossenschaft Tagesmütter, die Familienberatungsstellen Lilith und AIED, die Katholische Frauenbewegung, die Plattform für Alleinerziehende und der Verein VSLS Verband der Still- und Laktationsberaterinnen Südtirol. Weitere Infos erhalten Interessierte unter mutternacht.hdf.it

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Netzwerk MutterNacht 2022

Haus der Familie, Katholischer Familienverband, Berufskammer der Hebammen der Provinz Bozen, Frauen helfen Frauen, Katholische Frauenbewegung, Agjd – Arbeitsgemeinschaft der Jugenddienste, Familienberatungsstelle Lilith, Sozialgenossenschaft der Tagesmütter, Südtiroler Krebshilfe, eeh – Emotionelle Erste Hilfe, AIED – Associazione italiana per l’educazione demografica, Elki – Netzwerk der Eltern-Kind-Zentren Südtirols, Amt für Ehe und Familie der Diözese Bozen-Brixen, VSLS – Berufsverband der Still- und Laktationsberaterinnen in Südtirol, Südtiroler Bäuerinnenorganisation, Ariadne, Plattform für Alleinerziehende, Forum Prävention, aibi – Associazione Amici Dei Bambini, Verein Südtiroler Adoptiv- und Pflegeeltern, KJS – Katholische Jungschar Südtirols, La strada – der Weg, Vke – Verein für Kinderspielplätze und Erholung, Lebenshilfe, treff.familie im Südtiroler Kinderdorf, Familienberatung fabe, Caritas Diözese Bozen-Brixen, Straßenzeitung zebra. der OEW-Organisation für Eine solidarische Welt, Frauenhaus GEA, väteraktiv

Finanziell getragen wird die Aktion von der Familienagentur des Landes Südtirol.